Gauss-Telegraph: 17 internationale Leute in Braunschweig – Younouss Wadjinny

Gauss-Telegraph: 17 internationale Leute in Braunschweig -Younouss Wadjinny

von Lena Heinecke

  1. Younouss, wie bist du auf die Idee gekommen, die Gauss Friends zu gründen? Wieso war Carl Friedrich Gauß der Namensgeber?

Das war ein Prozess, der auf verschiedenen Säulen basiert. Zunächst wollte ich Braunschweig interkulturell bereichern und kulturellem Austausch einen Raum bietet. Insbesondere die nicht-europäischen Kulturen wie Indien, China, die muslimische Welt, der persische sowie arabische Raum, Afrika und Lateinamerika sollten berücksichtigt werden, da der Begriff „international“ zuvor häufig nur mit dem europäischen Ausland und den USA in Verbindung gebracht wurde. Internationale Freunde sollte man nicht nur bei Partys treffen, sondern man sollte auch die Kulturen, also die Sprachen, Feste, das Essen usw. kennen lernen. Zudem bin ich ein interdisziplinärer Mensch. Ich wollte Brücken zwischen der Wissenschaft und anderen Disziplinen wie Geschichte, Vorträgen, Kunst und Lesungen bauen. Bei meiner Arbeit im International Office wurde ich außerdem mit den verschiedenen Problemen der internationalen Studierenden konfrontiert. All diese Erfahrungen waren wichtig für die Gründung der Gauss Friends 2008. Gauß gilt dabei als Symbol, denn er war der wichtigste Alumni des Wissenschaftsraums Braunschweig, aber in Braunschweig gab es damals, als ich angekommen bin, keinen Verein o.Ä. für Gauß. Es gab jedoch einige Events, z.B. im Landesmuseum, die mein Interesse an C.F. Gauß weiter gesteigert haben. All die internationalen Studierenden sind aufgrund der Wissenschaft, also für Studium und Forschung, nach Braunschweig gekommen. Sie sind daher alle Freunde von Gauß (Gauss Friends).

  1. Wie würdest du dein Gefühl an einem Gauss-Abend beschreiben?

Ich hatte gemischte Gefühle, da ich die Verantwortung getragen habe, was natürlich mit viel Druck einhergeht. Die Besucher sollten zufrieden sein und neue Teilnehmer sollten gut integriert werden. Wer Probleme hatte, sollte mit uns eine Lösung finden können. Die Zusammenarbeit mit Partnern wie dem Studentenwerk oder den AStA-Referaten sollte gut funktionieren. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch viel Freude, Wärme und Glück sowie viele tolle Momente. Ich bin stolz, dass so viele Menschen eine schöne Zeit haben, dass sie miteinander reden und lachen und dass so viele Kulturen und Feste einen Raum bekommen. Das zeigt mir, dass ich das Ziel erreicht habe. Ich bin besonders gespannt auf die Zeit, wenn ich nicht mehr als Vorstandsmitglied, sondern als Besucher dabei sein und die Zeit genießen kann.

  1. Woher kommst du? Wieso hast du dich damals für BS als Ort für deinen Auslandsaufenthalt entschieden? Wie lange hast du in BS gelebt und was fasziniert dich besonders an der Stadt?

Ich komme aus Marokko und bin am 17. Januar 2005 nach Braunschweig gekommen, wo ich auf Diplom Mathematik mit dem Nebenfach Philosophie studiert habe. In den folgenden 15 Jahren (bis Januar 2020) war Braunschweig das Zentrum meines Lebens. Mein Zuhause, meine Freunde und Familie, meine Erinnerungen, Hobbys und Arbeit waren hier, auch wenn ich in den letzten Jahren viel gependelt bin. Besonders fasziniert mich an der Stadt die Diversität. Es gibt viel Tradition (eine der ältesten TUs in Deutschland, die Geschichte als Fürstentum, Geburtsstadt von Carl Friedrich Gauß, kulturell prägende Institutionen wie das Landesmuseum und das Staatstheater). Auch die Kunsthochschule HBK ist Teil der Bildungslandschaft der Stadt. Es gibt viele grüne Oasen für Spaziergänge und Sport in der Stadt, und zum Wandern ist die Entfernung zum Harz verhältnismäßig klein. Braunschweig ist nicht weit entfernt von Großstädten wie Berlin, Hamburg und Hannover. Auch die Nähe zur ehemaligen Grenze zur DDR ist sehr spannend, ebenso wie die Nähe zu Wolfsburg und der Automobilindustrie mit ihrem prägenden technischen Fortschritt. Für mich als Philosoph mit Interesse an der deutschen Kultur und Geschichte sind alle Elemente vorhanden. Ich denke, das in dieser Intensität und Mischung anderswo in Deutschland zu finden, ist schwierig, obwohl natürlich jede Region Deutschlands viel zu bieten hat. Deswegen habe ich mich hier jahrelang so wohl gefühlt und werde diese Stadt immer in guter Erinnerung behalten.

  1. Wie war es, vor Gründung der Gauss Friends als internationaler Student nach BS zu kommen? Was war schwierig, als du neu in BS warst?

Vor der Gründung der Gauss Friends habe ich drei Jahre in Braunschweig verbracht und war in den Strukturen der Studierendenschaft sowie beim Unisport sehr aktiv. Dadurch hatte ich keine Startschwierigkeiten und konnte schnell Anschluss finden. Meine anfängliche Gastfamilie und Freunde vom Taekwondo haben mir viel geholfen. Ich habe aber auch bemerkt, dass es vielen anderen internationalen Studierenden nicht so geht. Durch meine Arbeit im International Office sind mir ihre Probleme täglich begegnet. Es gab damals schon viele tolle Angebote, aber das Angebot war eher eurozentrisch und weniger auf das Intellektuelle als auf das Feiern ausgelegt. Ich wollte noch einen Schritt weiter gehen. Für die Probleme der internationalen Studierenden (Sprachbarriere, Kontakte zu deutschen Studierenden knüpfen, Jobsuche, Finanzierung des Studiums, bürokratische Schwierigkeiten mit der Ausländerbehörde usw.) sollte es ein Angebot von der Universität geben und der Verein sollte dabei die Stimme der Studierenden darstellen. Dementsprechend waren und sind die Gauss Friends eine große Bereicherung für Braunschweig, was mir regelmäßig gesagt wird und was durch den Preis vom Auswärtigen Amt nochmal bestätigt wurde. Aber das Potential ist noch längst nicht ausgeschöpft, die Lücke ist weiterhin groß und mit Unterstützung der TU kann noch viel mehr erreicht werden.

  1. Was waren deiner Meinung nach die Schlüsselmomente in der Geschichte der Gauss Friends?

Das ist eine spannende Frage, denn die Zeit war sehr intensiv und es gab viele wichtige Momente. 2005 war das Gauß-Jahr, wodurch die Idee zustande kam. 2008 war das Jahr der Mathematik in Deutschland, was den letzten Anstoß zur Gründung gegeben hat. 2009 war schwierig, weil viel Organisatorisches (Satzung, Vollversammlung, Mitglieder finden usw.) geregelt werden musste. Das wurde nochmals dadurch erschwert, dass wir ausländische Menschen waren und uns entsprechend mit Dingen wie dem deutschen Satzungsrecht gar nicht auskannten. Wir haben einen Raum in einer Kneipe in der Jakobsstraße gemietet und dort täglich Veranstaltungen angeboten, aber die Ausgaben für die Miete lagen deutlich über den Spendeneinnahmen, weswegen wir letztlich kündigen mussten und die Veranstaltungen an verschiedenen Orten stattgefunden haben, z.B. im Haus der Wissenschaft, wo wir auch 2009 das erste Mal den Geburtstag von Gauß gefeiert haben. Nach Verhandlungen und Gesprächen mit dem Studentenwerk hat im Januar 2010 die Schlüsselübergabe zum Michaelishof stattgefunden, wo das Gauss Haus bis heute ist, und das Konzept des Gauss Hauses konnte endlich richtig umgesetzt werden. Zu Gauß´ Geburtstag am 30.4.2010 wurde das Gauss Haus mit einer riesigen Party und vielen Gästen seitens der Stadt und der TU offiziell eröffnet. Im Jahr 2012 haben wir vom International Office die finanzielle Unterstützung für das Patenprogramm (heute Buddy-Programm) bekommen und Ende des Jahres wurde das AStA-Referat für internationale Studierende Teil des Konzeptes, ebenso wie zwei Jahre darauf das Referat für Internationales. 2017 begann die Zusammenarbeit mit dem Institut Z_SchuLe der TU. Letztes Jahr gab es mit der Veröffentlichung des Buches „Johanna & C.F. Gauß – Begegnungen der besonderen Art“ zum Gauß Geburtstag und dem Preis des Auswärtigen Amtes für exzellente Betreuung ausländischer Studierender zwei weitere wichtige Schlüsselmomente.

  1. Was sind deine persönlichen Gauss-Highlights während der letzten >10 Jahre?

Der schönste Moment für mich persönlich war wohl die Eröffnung des Gauss Hauses am 30.04.2010, bei dem ich nach der Feier das Schild mit der Aufschrift „Gauss Haus“ gesehen habe, was auch heute noch am Eingang des Michaelishofes hängt. Danach bin ich immer wieder nachts aufgewacht und habe mich gefragt, ob ich nur geträumt habe.

  1. Was wünschst du den Gauss Friends für die Zukunft des Vereins und des Projekts?

Die Vision ist der Gauss International Club, mit eigenem Raum an der Universität und Veranstaltungen an mehreren Tagen der Woche, die von einer fundierten Personalstruktur organisiert werden. Wünschenswert ist auch ein funktionierendes Digitalkonzept mit einer App und interaktiven Website. Der Club sollte nicht nur in der Uni, sondern in der ganzen Stadt Brücken zwischen Menschen bauen. Dazu wäre eine konsequente finanzielle Unterstützung durch die TU oder durch Stiftungen etc. sehr hilfreich. Die Richtung ist also klar, aber die Infrastruktur und dauerhafte Konzepte fehlen. Der Verein ist noch abhängig von Einzelpersonen, deren Herz für das Zusammenbringen von Menschen und Kulturen schlägt. Wenn neben motivierten Freiwilligen auch Fachleute mitarbeiten, kann das Konzept nachhaltig weitergeführt werden. Das übergeordnete Ziel ist dabei, dass das Gauss Haus in Braunschweig bundesweit die beste Betreuung internationaler Studierender und die beste Internationalisierung zuhause ermöglicht.

  1. Was ist die Besonderheit des Gauss-Hauses? / Was macht das Gauss Haus aus?

Die Besonderheit des Gauss Hauses ist das familiäre Gefühl und die Mischung. Die einzelnen Elemente sind erst einmal nicht einzigartig, aber die Kombination verschiedener Elemente, d.h. die Ehrung einer historischen Persönlichkeit der Wissenschaft, dem Brücken bauen zwischen Kulturen in einem wissenschaftsgeprägten Milieu, der Begleitung internationaler Gäste in Braunschweig sowie der Internationalisierung zu Hause für die deutschen Studierenden und das weit über den europäischen Raum hinaus, ist etwas ganz Besonderes. Das alles wurde initiiert und wird organisiert von den internationalen Studierenden selbst und nicht von einer Institution wie der Uni oder der Stadt, was die Gauss Friends ebenfalls auszeichnet.

  1. Was ist deine Lieblingsveranstaltung im Gauss Haus?

Da möchte ich definitiv die Harzwanderung nennen, die wir schon seit 2008 zweimal jährlich machen und bei der ich immer dabei bin. Meine anderen beiden Lieblingsevents haben mit Gauß zu tun, zunächst die Exkursion nach Göttingen anlässlich seines Todestags und außerdem die Feier des Gauß-Geburtstags am 30. April mit Kultur, Spaß und Kuchen. Und selbstverständlich liebe ich auch jeden Dienstagabend im Gauss Haus.

  1. Was vermisst du am meisten an Braunschweig und von den Gauss Friends?

Ich vermisse alles! Das Gauss Haus ist meine Familie, meine Heimat und meine Seele. In Braunschweig habe ich fünfzehn sehr intensive Jahre meines Lebens verbracht und dementsprechend viel verbinde ich auch mit der Stadt, die mich sehr geprägt hat und wo ich viele Träume verwirklicht sowie viel erlebt habe. Ich bezeichne mich zwar als heimatlosen Menschen, aber wenn ich eine Heimat hätte, dann wäre es Braunschweig.